Meinung

Ob Nahost oder Ukraine: Wenn zwei sich prügeln, braucht es nicht die Faust eines Dritten

Kürzlich habe ich mit einem guten Freund in Moskau gesprochen und ihn gefragt, wie die Menschen dort den aktuellen Israel-Palästina-Konflikt wahrnehmen. Seine Antwort zeigt, dass Deutschland völlig falsch abgebogen ist.
Ob Nahost oder Ukraine: Wenn zwei sich prügeln, braucht es nicht die Faust eines DrittenQuelle: AFP © Sergei Supinsky

Von Tom J. Wellbrock

In einem längeren Podcast mit dem Titel "Medien und Krieg: Ich sehe tote Kinder", mit Gert Ewen Ungar, der seit gut einem Jahr in Moskau lebt, habe ich mich über die Konflikte um die Ukraine und die aktuellen Geschehnisse zwischen Israel und Palästina unterhalten. Das Ergebnis war aus deutscher Sicht ernüchternd.

Draufhauen!

Die deutsche Politik sucht sich gezielt aus, wann sie sich gesinnungsethisch aufbäumt und mit erhobenem Zeigefinger moralisiert. Wenn es gerade nicht passt, schweigt sie einfach. Beispielsweise, als Florian Warweg von den NachDenkSeiten kürzlich auf der Bundespressekonferenz fragte, ob Kanzler Olaf Scholz sich dem von der UN geäußerten Vorwurf in Richtung Israel anschließe, dass die totale Blockade Israels vom Gazastreifen völkerrechtswidrig sei. Von der womöglich von Erkältung oder Corona geplagten Pressesprecherin Christiane Hoffmann erhielt Warweg eine Textbaustein-Antwort: Deutschland betone das Selbstverteidigungsrecht Israels, zu einzelnen Maßnahmen könne man sich nicht äußern. Die Nachfrage Warwegs ergab eine identische Antwort.

Wenn Michael Roth (SPD), die "Infrastruktur der Hamas komplett vernichten" will, wie im ARD-Morgenmagazin geschehen, kann man nur fassungslos zurückbleiben in Anbetracht der Tatsache, dass damit Angriffe und Tötungen palästinensischer Zivilisten verbunden sind. Doch Roth geht noch weiter und zeigt auf, wie – man kann es nicht anders bezeichnen – pervers er die deutsche Außenpolitik sieht, wenn er sagt:

"Wir werden uns vermutlich von der Idee verabschieden müssen, dass auf dem Verhandlungswege mit einem solchen Terrorregime irgendwas zu erreichen sein wird."

Roth meint den Umgang mit dem Iran. Zwar gebe es schon zahlreiche Sanktionen gegen den Iran, doch nun müsse geprüft werden, was noch möglich sei (er präzisiert das nicht). Dann weist Roth darauf hin, dass Iran die "Friedensbemühungen Israels" bekämpfe, ein Terrorregime sei, das keinerlei Recht auf Verhandlungen habe. Er spricht damit vielen Zivilisten gegenüber das Todesurteil aus.

Deutschland im Fadenkreuz

Wenn man sich erst einmal von "der Idee" verabschiedet hat, Lösungen durch Verhandlungen zu erzielen, hat man den Kerngedanken der Diplomatie bereits verlassen. Mit wem darf man denn verhandeln? Mit wem nicht? Wer entscheidet das auf welcher Basis? Und sind Länder, mit denen man heute noch verhandelt, morgen womöglich raus, weil sie irgendein "Fehlverhalten" gezeigt haben?

Was Roth im Interview aufgezeigt hat, ist das komplette diplomatische Versagen, mehr noch: die Weigerung, Diplomatie walten zu lassen. Von der feindseligen und kriegerischen Absicht dahinter abgesehen, wird das früher oder später Konsequenzen haben, auch und gerade für Deutschland.

So wie vermutlich der Großteil der Ukrainer mittelfristig keinesfalls dankbar für die unzähligen deutschen Waffenlieferungen und die künstliche (weil: undiplomatische) Verlängerung des Krieges mit Russland sein wird, wird Deutschland sich weitere Feinde schaffen.

Ob im Israel- oder Ukraine-Konflikt: Deutschland kennt nur die Eskalation, zeigt sich verhandlungsresistent und trägt so mit dazu bei, dass Menschen sterben, Angehörige an den Tod verlieren, hungern, frieren, ihre Kinder nicht ernähren können. Längst nicht alle, aber viele von diesen Opfern der deutschen Außenpolitik werden sich die deutsche Rolle merken, und sie wird sich tief ins Gedächtnis einbrennen. Und irgendwann wird die Reaktion erfolgen, vielleicht, wahrscheinlich in Form von Terror, der seinerseits durch Rachegefühle angetrieben sein wird.

Man könnte all das verhindern, indem man zwischen Zivilisten und Politik unterscheidet. Man könnte die Zivilbevölkerung sämtlicher Konflikte in den Vordergrund stellen und damit einhergehend zu diplomatischen Lösungen kommen, weil nur sie Zivilisten retten können. Stattdessen – wie im Interview geschehen – die bisherigen Sanktionen gegen Iran sogar noch steigern zu wollen, ist eine Kriegserklärung an die Zivilbevölkerung Irans, eine weitere, denn das Leid der Menschen unter den Sanktionen ist ja nicht neu.

Und ein weiterer Punkt sollte nicht unterschätzt werden. Sowohl Israel als auch Deutschland geraten in immer größere Gefahr, je länger sie weiter eskalieren und morden oder zum Mord beitragen. Es besteht zum einen die Gefahr eines flächendeckenden Krieges rund um Israel herum, der das Land perspektivisch sogar zerstören kann. Zum anderen besteht die nicht weniger realistische Gefahr eines Weltkrieges, denn wenn Israel nicht zur Vernunft kommt und die Partnerländer die feindselige Politik weiter unterstützen, fördern und finanzieren, wird Deutschland nur eines von unzähligen Ländern sein, die Existenz und Leben auf diesem Planeten verlieren. Der Welt und/oder den beiden Ländern und den Menschen, die dort leben, kann man diese Perspektive unmöglich wünschen oder ihre Verwirklichung riskieren.

Doch selbst wenn diese großen Kriege ausbleiben: Deutschland hat sich weltweit isoliert, die aggressive Grundhaltung dieses Landes hat dazu geführt, dass kaum noch jemand mit der Außenministerin sprechen oder sie ernst nehmen will. Viel wichtiger aber ist die Tatsache, dass Deutschland sich als Gesprächspartner für Konfliktlösungen selbst aus dem Ring gekickt hat. Wenn Millionen oder gar Milliarden von Menschen mit Deutschland Feindschaft und Einmischung in die inneren Angelegenheiten assoziieren, wird das den Standort des Landes weder besser noch sicherer machen.

Moskauer Reaktionen

Zum Abschluss sollen die Reaktionen aus Moskau zum aktuellen Israel-Palästina-Konflikt erwähnt werden. Die meisten Moskauer reagieren auf die derzeitige Situation mit Trauer und Bedauern. Medial ist das Thema in Moskau groß, es gibt auch Berichte, Interviews und Dokumentationen über den geschichtlichen Hintergrund des Konfliktes. Die Menschen in Moskau erfassen, dass ein sehr langer Konflikt scheinbar nach wie vor nicht zu einem Ende kommen mag. Darüber wird viel gesprochen.

Was in Moskau jedoch nicht oder nur sehr selten zu finden ist, ist eine offene Parteinahme für eine Seite. Daraus folgend gibt es auch keine Forderungen nach kriegerischen Interventionen, Waffenlieferungen oder gar der Auslöschung der Hamas oder der Palästinenser. Für die Menschen in Moskau ist dieser Krieg schrecklich, aber nicht ihr Krieg. Sie wünschen sich, dass er beendet wird, dass es eine Lösung geben kann, die allen gerecht wird. Mit dieser Haltung fällt es schwer, Aggressionen zu entwickeln oder sich in der Verpflichtung zu sehen, aktiv in diesen Konflikt einzugreifen.

Mein guter Freund Gert Ewen Ungar ist fassungslos, wenn er sieht, dass in Deutschland einmal mehr auf Intervention, auf Waffen, auf Hass und einen militärischen Sieg gesetzt wird. Er kann es nicht verstehen, dass es Stimmen gibt, die die totale Blockade Israels gegenüber dem Gazastreifen befürworten, begrüßen und sogar fordern. Ausgerechnet Deutschland, das Land, das maßgeblich für die Leningrader Blockade verantwortlich war, bei der in rund 28 Monaten mehr als eine Million Menschen starben.

Deutschland hat ganz offensichtlich aus der Geschichte nichts gelernt, oder aber es ist gewillt, die Geschichte zu wiederholen. Einmal mehr in dem Irrglauben, diesmal auf der richtigen Seite zu stehen.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

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