Meinung

Annalena Baerbock: Die müde Verteidigung einer Resthumanität

Annalena Baerbock ist erkennbar damit überfordert, die schlichte Fortsetzung der bisherigen deutschen Politik im Nahen Osten zu vermitteln, und die Sympathien des Interviewers sind eindeutig. Aber nicht einmal sie ist so schlimm, wie das, was manche Medien daraus machen.
Annalena Baerbock: Die müde Verteidigung einer Resthumanität

Von Dagmar Henn

Das Anstrengende an Interviews mit der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock ist, wie weit sie von jenem alternativen Film abweichen, der immer im Hintergrund mitläuft, wenn ihr irgendjemand eine Frage stellt. Ein Film, in dem noch nicht einmal grundsätzlich andere Positionen vertreten werden, nur eine kompetentere.

Das sind nicht nur Formulierungen wie "einem plakativ das Wort im Munde umdrehen". Und natürlich wäre es vielleicht letztlich noch schlimmer, wenn das, was Baerbock vertritt, auch noch eloquent und mit Verstand serviert würde. Aber dennoch, dieses eigenartige, fast schmerzhafte Gefühl der "zweiten Version", so eine ministerielle Variante des schlechten Gewissens aus alten Lenor-Werbungen, wird man einfach nicht los.

Da ist die Emotionalisierung. Das ist nicht authentisch, das ist theatralisch. Wie sie zusätzlichen Druck auf die Stimme gibt, um Worte wie "brutal" oder "bestialisch" zu betonen. Dabei begann die Verwendung solcher Begriffe bei den Boulevardzeitungen, mit der klaren Absicht, auf diese Weise mehr Exemplare zu verkaufen. Was verkauft Baerbock? Oder andersherum, was hat diese Gefühlerei in der Tätigkeit eines Außenministers verloren?

Ganz am Anfang ihres Interviews mit Christian Sievers vom Heute-Journal erklärt sie das zum Anzeichen von Menschlichkeit, nachdem ein kurzer Videoschnipsel mit einem schluchzenden John Kirby eingespielt wurde (bei Minute 8:14 der kompletten Sendung). Das Problem ist nur, dass sich Menschlichkeit nicht im Mitgefühl mit jenen erweist, mit denen man sich identifiziert, sie erweist sich im Mitgefühl mit jenen, mit denen man das nicht tut.

Aber Baerbock das zu erklären, ist vermutlich verlorene Liebesmüh. Sie hält gerade das absolute Minimum. Nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz am Montag schon erklärt hatte, Deutschland wolle alle Hilfen an Palästina einstellen, und auch in der EU entsprechend Druck gemacht hat, kam aus einigen europäischen Ländern die Antwort, humanitäre Unterstützung einzustellen, sei falsch. Daraufhin ruderte die Bundesregierung wieder zurück und jetzt musste Baerbock erklären, dass es dabei doch um Entwicklungshilfe gehe, also um Gelder für Schulen oder Krankenhäuser. Man werde das jedoch auf israelischen Wunsch alles noch einmal überprüfen.

Im Film im Hintergrund ist derweil davon die Rede, dass diese Mittel oft mehrfach für das gleiche Projekt aufgewandt werden müssen, weil gerade im Gazastreifen Israel gerne einmal das fertige Ergebnis zerbombt. Nein, zu viel Realität, das wäre nicht baerbockisch.

Christian Sievers, der Moderator, der sie interviewt, ist unübersehbar stramm auf israelischer Seite. Er versucht, zu attackieren; ob denn sicher sei, dass Deutschland keinen Terror finanziere. Er erwähnt mit besonderer Betonung, dass die gegenwärtige israelische Regierung die Zwei-Staaten-Lösung ablehne. Und er versucht, von ihr eine klare Aussage zu erhalten, warum Deutschland im Gegensatz zu anderen Ländern seine Staatsangehörigen nicht mit Maschinen der Bundeswehr evakuiert.

Wobei letzteres bei den meisten Zuschauern inzwischen eher die Erinnerung an nicht funktionsfähige Regierungsflieger auslösen dürfte. Baerbock kann sich aber, selbst auf vielfaches Nachfragen, nicht aufraffen oder besitzt nicht die Intelligenz, schlicht darauf zu erwidern, dass deutsche Militärflieger in Israel grundsätzlich unangebracht wären.

In dieser hoch emotionalisierten Umgebung, in der sich Baerbock zu bewegen scheint, ist wenig Platz für Ratio (wobei nicht ausgeschlossen ist, dass sie, wie Kollege Habeck, in dem Augenblick, in dem die Kamera aus ist, kalt nachfragt, ob das so passt). Sie spricht von "dieser Brutalität, dieser Unmenschlichkeit" des Hamas-Terrors, "diesem brutalsten Terror", von "Menschen, die auf so bestialische Art und Weise gefangen genommen worden sind", vom "Drehbuch des Terrors", Menschen "in Angst und Schrecken zu versetzen". Als wäre der schluchzende John Kirby tatsächlich ein Vorbild und nicht eine besonders zynische Verkörperung einer Macht, die keinerlei Probleme damit hat, Hunderttausende zu töten, wie es jenes berühmte Interview mit Madeleine Albright belegte.

Sievers bringt, schon fast im Tonfall des Vorwurfs, den Satz: "Sie suchen ja auch nach einer politischen Lösung", und darunter schwingt die Fantasie mit, es gäbe eine andere, worauf Baerbock defensiv erwidert, "das ist mein Job, ja." Weder fragt Sievert nach, was die politische Lösung sein könne, noch kontert Baerbock, während in dem Film, der im Hintergrund läuft, die Antwort lautet: Eine nicht politische Lösung wäre, gleich von welcher Seite, noch vielfach schlimmer.

Alles sei "eng abgestimmt mit den Amerikanern", sagt Baerbock, was bei ihr niemanden verwundert, denn sie dürfte sich selbst die Anordnung ihrer Büromöbel aus Washington genehmigen lassen. Sie äußert, wenn man genau aufpasst, sogar eine Theorie, warum dieser Angriff jetzt erfolgte. Es ginge darum, die Verhandlungen zwischen Saudi-Arabien und Israel zu sabotieren.

Wobei diese Aussage natürlich zum Mindesten unvollständig ist, denn der Sturm der israelischen Siedler auf die Al-Aksa-Moschee war für diese Verhandlungen mindestens ebenso schädlich, und das, was Israel derzeit mit Gaza macht, desto mehr. Aber wir lauschen Baerbock, da ist jede Aussage, die sich über das "die tun Böses, weil sie böse sind" erhebt, schon ein geistiger Höhenflug.

Wobei man in diesem Fall selbst Baerbock gegenüber einer Darstellung in der Presse sogar in Schutz nehmen muss. In der Interviewpassage, in der sie die Gespräche zwischen Saudi-Arabien und Israel erwähnt, sagt sie, all dies sei "durch diesen Terror in die Luft gesprengt" worden. Der Focus bezieht, weil sie "all dies" gesagt hat, diese Aussage auf die Zwei-Staaten-Lösung, von der davor die Rede war, und bastelt daraus die Schlagzeile "Zwei-Staaten-Lösung wurde 'durch diesen Terror in die Luft gesprengt'".

Das ist nicht nur schlicht gelogen, weil die Zwei-Staaten-Lösung von Anbeginn an durch Israel sabotiert wurde. Womöglich ist auch der Umgang mit dieser Lösung, die nicht nur durch den UN-Sicherheitsrat beschlossen, sondern auch, formell zumindest, von allen jeweiligen Bundesregierungen vertreten wurde, das Vorbild für den Betrug bei den Minsker Abkommen gewesen; man war es schlicht so gewohnt, es hat schließlich bei Palästina nicht wirklich interessiert, dass man die israelische Sabotage hinnahm, also machte man das mit Minsk genauso. Und dann wunderte man sich, dass das mit Russland nicht so folgenlos blieb wie mit Palästina.

Baerbock hat nicht für die Zwei-Staaten-Lösung argumentiert, aber sie hat nicht gesagt, die Zwei-Staaten-Lösung wäre tot. Das wäre wirklich selbst für eine Außenminister-Darstellerin, die schon einmal nebenbei Russland den Krieg erklärt hatte, eine völlig neue Qualität.

Denn es gibt nur drei Optionen, wie die gegenwärtige Situation beendet werden kann. Option eins wäre ein gemeinsamer Staat mit gleichen Rechten für alle. Das scheitert an der Vorgabe des "jüdischen Staates", weil dadurch eine nicht jüdische Mehrheit entstünde. Option zwei ist die Zwei-Staaten-Lösung, die derzeit im Prinzip, aber in der Wirklichkeit nur sehr begrenzt umgesetzt wird. Und Option drei wäre eine Runde Völkermord und Vertreibung, gleich, welche Seite sich am Ende durchsetzt.

Was bedeutet, hätte Baerbock tatsächlich das gesagt, was ihr der Focus unterstellt, wäre das ein Aufruf zum Völkermord. Diesmal hat sie das wirklich nicht gesagt, auch wenn Heute-Mann Christian Sievers erkennbar in diese Richtung geschoben hat.

Das ist die Münze, mit der heute in der deutschen Außenpolitik gezahlt wird. Man braucht nicht darüber zu reden, dass alle Aussagen, auf Katar Druck auszuüben, die Hamas nicht mehr zu finanzieren, schlicht lächerlich sind; seit Nord Stream übt dieses Deutschland keinen Druck auf niemand mehr aus. Es gab einmal eine Zeit, lange ist es her, da hatten beide deutsche Staaten unterschiedlich dazu beigetragen, die unsichtbaren Palästinenser sichtbar zu machen. Für Baerbock kommt die tägliche Gewalt der israelischen Besetzung ebenso wenig vor wie für das ZDF, und sie wird nie begreifen, dass der Tremolo unglaubwürdig ist, solange er selbst tote Kinder in wichtige und unwichtige scheidet.

Bei ihrer zaghaften Verteidigung der humanitären Unterstützung für Palästina – Lebensmittelhilfe und Wasserversorgung dürfe man nicht einstellen, weil die Menschen in Gaza das "ganz dringend" bräuchten – erwähnt sie nicht, dass inzwischen selbst aus der UNO die Belagerung Gazas, bei der selbst Wasser und Lebensmittel abgeschnitten werden, gleich doppelt als völkerrechtswidrig verurteilt wurde, einmal durch den Generalsekretär und einmal durch den Menschenrechtskommissar, geschweige denn, dass sie selbst dieses Kriegsverbrechen Israels mit Ankündigung im Namen der Bundesregierung verurteilte.

Aber man ist schon froh, wenn sich die Lesart des Focus als falsch erweist. Man wischt sich den Schweiß von der Stirn, dreht den Film im Hintergrund leise und holt einmal ganz tief Luft. Nicht, dass dieses stolpernde "weiter so wie bisher", "eng abgestimmt mit den Amerikanern", die bisher keine Anzeichen erkennen lassen, eine weitere Eskalation bremsen zu wollen, für irgendetwas gut ist. Obwohl tatsächlich die Menschen auf beiden Seiten darauf angewiesen sind, dass Netanjahu daran gehindert wird, noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Man ist schon froh, wenn Baerbock nicht selbst zur Ölkanne greift.

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