Meinung

Berichterstattung zu Israel: Bombenstimmung in Deutschland

Und wieder stecken die Medienkonsumenten im Hamsterrad der deutschen Berichterstattung, diesmal zum Israel-Konflikt. Die Oberflächlichkeit der medialen Berichte wird nur noch durch die banalen Worthülsen der Politiker überboten.
Berichterstattung zu Israel: Bombenstimmung in Deutschland© Screenshot: Bild.de

Von Tom J. Wellbrock

Man kann die "Hintergrundberichte" deutscher Medien mit ein paar Worten des Deutschlandfunks zusammenfassen:

"Militante Palästinenser haben mit Raketen und bewaffneten Kämpfern Israel angegriffen. Dabei wurden nach Angaben des israelischen Rettungsdienstes mindestens 70 Menschen getötet. In Medienberichten ist von mindestens 100 Toten die Rede. Dem Gesundheitsministerium zufolge wurden zudem rund 900 Menschen verletzt."

Damit ist fast alles gesagt, was es aus deutscher Mediensicht zu sagen gibt. Komplettieren wir das mit den tiefgründigen politischen Einordnungen. Welchen Politiker wir zitieren, ist ziemlich egal, nehmen wir also unsere Chef-Diplomatin:

"Nichts rechtfertigt unterschiedlosen Raketenbeschuss, Kommandoangriffe auf friedliche Zivilisten, die brutale Entführung von unschuldigen Menschen."

Und wer jetzt noch wach ist, dem sei folgende Einschlafhilfe mit auf den Weg gebracht:

"Der Terror der Hamas muss sofort aufhören."

Wollen Sie mehr wissen, liebe Leser? Dann hören Sie Karin Leukefeld auf RT zu. Sie können sich aber auch bei den Nachdenkseiten ein Bild davon machen, dass Kritik an Israel schnell gecancelt wird, wenn sie nicht zur Erzählung passt.

Und so erfahren wir erneut nichts von der Vorgeschichte, die zu den aktuellen Auseinandersetzungen geführt hat. Einmal mehr – wir kennen das ja von der Ukraine – wird ein ach so unschuldiges Land angegriffen, von Terroristen, militanten Palästinensern, unschuldige Menschen werden brutal entführt.

Nun ist das inzwischen rechtsextrem geführte Israel aber eben kein Unschuldslamm, ebenso wenig wie es die Ukraine ist. Das Leid der Palästinenser unter der aggressiven Siedlungs- und Besetzungspolitik Israels dauert schon Jahre an, die "fromme" Weltgemeinschaft unternimmt nichts dagegen, über Jahrzehnte wurde vom Westen der Wind gesät, der nunmehr zum Sturm wurde.

Volker Beck (die Grünen), Präsident der "Deutsch-Israelischen Gesellschaft" (DIG) forderte in der Tagesschau denn auch gleich das Ende sämtlicher Geldmittel für das UN-Flüchtlingswerk UNRWA und die Einordnung des Irans als Terrorstaat. Bei Wikipedia steht im Artikel über den Sonderfonds UNRWA:

"Zur Betreuung palästinensischer Flüchtlinge infolge des ersten Palästinakrieges wurde am 19. September 1948 der Sonderfonds UNRPR (United Nations Relief for Palestine Refugees) eingerichtet. Das Ziel des Fonds bestand darin, Hilfsmaßnahmen zu koordinieren. Da dies jedoch nicht ausreichte, wurde UNRWA am 8. Dezember 1949 von der UNO-Generalversammlung ins Leben gerufen und nahm am 1. Mai 1950 seine Arbeit auf. UNRWA hat den Auftrag, den ursprünglich rund 0,5 Millionen und inzwischen (Stand 2019) 5,5 Millionen registrierten Palästina-Flüchtlingen Unterstützung und Schutz zu gewähren. Die Tätigkeitsfelder der UNRWA umfassen Bildung, medizinische Versorgung, Hilfs- und Sozialdienste, Lagerinfrastruktur und -verbesserung, Kleinkredite, Schutz und humanitäre Hilfe. Das Mandat der UNRWA wird von der UN-Generalversammlung regelmäßig um drei Jahre verlängert."

Und überhaupt, so Beck, müsse Schluss sein mit der "bedingungslosen Unterstützung palästinensischer Einrichtungen". Antisemitismus und Terrorismus dürften nicht unterstützt werden.

Ein interessantes Detail beim Interview der Tagesschau mit Beck sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Der DIG-Präsident sagte:

"Die deutsch-israelische Gesellschaft hatte sich in der letzten Woche – wir wussten nichts von den bevorstehenden Aktionen – da bereits an die Mitglieder des Haushaltsausschusses gewandt, dass das im Bundeshaushalt endlich klargestellt wird. Wir haben jetzt gesehen, was die Früchte dieser Finanzierung sind."

Politik, Medien und sogenannte "Experten" sprechen von völlig überraschenden Angriffen durch die Palästinenser; Beck hat aber – wie es der Zufall so will – schon eine Woche zuvor passende Sanktionen gefordert. Oleg Jassinski hat auf RT dazu geschrieben:

"Ich glaube nicht an einen 'Überraschungsangriff' der Hamas, den Israel 'verschlafen' hat. Diese Version ist etwas für alte Damen auf der Parkbank. Wir kennen die technischen Möglichkeiten des israelischen Geheimdienstes, und es ist nicht schwer, sich das Ausmaß seiner Einbettung in palästinensische Organisationen auszumalen."

Jassinki schreibt weiter:

"Die israelische Regierung braucht diesen Krieg, um die interne Krise zu überwinden und die Nation gegen einen offensichtlichen Feind zu mobilisieren, der von allen leicht zu hassen ist. Angenehme Nebenwirkung: Das, was vergessen werden soll, wird vergessen."

Und prompt zitiert das ZDF seinen Korrespondenten Michael Bewerunge mit den Worten:

"Israel sei die letzten Monate innenpolitisch in Aufruhr gewesen. Im Moment führe die Lage dazu, dass 'die Reihen sich schließen', sagt Bewerunge. 'Reservisten, die vorher aus Protest gegen die Justizreform und der Kappung der Gewaltenteilung ihren Dienst verweigert haben, haben sich zurückgemeldet zum Dienst.'"

Einordnung für den Moment

Derzeit lässt sich – losgelöst von den moralisierenden Schwarz-Weiß-Statements aus Politik und Medien – sagen, dass die aktuelle Eskalation nicht überraschend kam, weder bezogen auf die zurzeit stattfindenden Angriffe noch auf die langfristige Entwicklung. Israel hat seit Jahren freie Hand und kann mit den Palästinensern faktisch machen, was es will. Diese Tatsache wird (natürlich) in der deutschen Berichterstattung verschwiegen.

Hinzu kommt die breite Unterstützung für die Hamas aus unterschiedlichen Ländern, die die Angriffe begrüßen oder gar feiern und als notwendigen Schritt gegen die Politik Israels werten. Das spricht dafür, dass es sich nicht um eine "terroristische Aktion" handelt, sondern die allgemeine Unzufriedenheit in der gesamten Region wächst, und zwar weit über Palästina hinaus.

Unterm Strich muss man sagen, dass die politisch und medial kolportierte Opferrolle Israels einfach unglaubwürdig ist und einmal mehr die Eskalationsbereitschaft des Westens zeigt, Volker Beck steht stellvertretend für diese Bereitschaft. Man muss selbstverständlich darauf hinweisen, dass die Lösung des Israel-Palästina-Konflikts eine Mammutaufgabe darstellt, die sich nicht bei einer Tasse Tee klären lässt. Doch mit diplomatischen Bemühungen des Westens darf man wohl nicht rechnen, es herrscht (mal wieder) Bombenstimmung.

Nachtrag

Den Sonntagvormittag über dominierte die Meldung über eine von den Hamas entführte Deutsche das Nachrichtenbild. Diese Meldung ist – so schrecklich die Entführung und ihre Umstände sein mögen – nicht hilfreich für das weitere Agieren in diesem Konflikt.

Wir kennen das aus dem Ukraine-Krieg, in dem regelmäßig behauptet wird, Russland habe tausende ukrainische Kinder entführt. Eine Behauptung übrigens, die bisher jeden Beweis schuldig geblieben ist. Frauen, Kinder, alte Menschen, hilflose Zivilisten – sie alle werden instrumentalisiert, um jedem Konflikt eine "bestimmte Note zu verleihen".

Man muss nüchtern feststellen, dass in jedem Krieg Opfer zu beklagen sind, und jedes dieser unschuldigen Opfer – egal, von welcher Konfliktpartei – ist schrecklich, beklagenswert und verurteilungswürdig. Doch schon Peter Scholl-Latour wusste, dass man regionale oder geopolitische Konflikte nicht auf dieser emotionalen Ebene behandeln darf, es dient der Sache nicht. Und diese "Sache" muss in erster Linie auf ein Beenden von Konflikten und Kriegen hinauslaufen, die unzählige unschuldige Opfer mit sich bringen.

Die Emotionalisierung über Berichte von einzelnen Opfern zur Nutzung politischer oder gar militärischer Pläne schafft selbst bei Unbeteiligten eine innere Eskalationsbereitschaft, angetrieben durch Gefühle des Mitleids, der Hilflosigkeit und der spontanen Parteinahme für eine Konfliktseite. So lassen sich undiplomatische und eskalierende Aktivitäten, die nicht zur Beendigung, sondern Fortsetzung eines Konfliktes beitragen, zwar besser "verkaufen", ja man erreicht sogar Unterstützung für Angriffe und daraus resultierende Todesopfer.

Doch wer wirklich an einer Deeskalation und einer Beendigung von Konflikten und Kriegen interessiert ist, wird auf das Instrumentalisieren von Einzelschicksalen verzichten. Es spricht Bände, dass dies nicht passiert.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

Mehr zum Thema - "Al-Aqsa Flood" – Die palästinensische Hamas startet Großangriff auf Israel

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