Meinung

Russlands Angebot an Afrika: Hilfe zur Souveränität

Das alles diene nur dazu, neue Abhängigkeiten zu erzeugen, ist die westliche Reaktion auf die Angebote, die Russland auf dem Russland-Afrika-Gipfel macht. Selbst aber ist man zu derartigen Angeboten nicht bereit, und das aus gutem Grund.
Russlands Angebot an Afrika: Hilfe zur Souveränität© François Maréchal, Public domain, via Wikimedia Commons

Von Dagmar Henn

Logistikzentren, Unterstützung bei der Landwirtschaft und beim Bau afrikanischer Eisenbahnen? Die Antwort darauf aus dem Westen steht schon fest: Russland will damit nur Abhängigkeiten schaffen ...

Aber wie steht es denn damit tatsächlich? Der einfachste Schritt, um zu bewerten, wo die Probleme und die Entwicklungsmöglichkeiten eines Landes liegen, ist ein Blick auf die Karten. Karten mit Rohstoffen wie Karten der Verkehrswege. Das Schöne an solchen Karten ist: Sie werden nicht nach einer Agenda erstellt, sondern sollen schlicht die Wirklichkeit so darstellen, wie sie ist.

Nehmen wir eine Karte mit Rohstoffen. Eine Tatsache sticht auf den ersten Blick ins Auge: Mit Ausnahme des südlichen Afrika sind die Küstenregionen auf diesen Rohstoffkarten absolut dominant. Viel leichter zu finden sind Karten, die landwirtschaftliche Produkte zeigen, dabei vor allem jene, die exportiert werden: Kakao, Erdnüsse, Palmöl, Baumwolle.

Sobald man Karten zu Verkehrswegen sucht, stößt man bereits auf ideologische Prägungen. Ein schönes Beispiel lieferte die Wissenschaftssendung des ORF im Jahr 2015. Einen Bericht über den Bau von insgesamt 53.000 Kilometern Straßen in Afrika betitelte sie mit "Neue Straßen bedrohen Afrikas Umwelt". Zum Vergleich: Allein das bundesdeutsche Autobahnnetz hat eine Gesamtlänge von 13.200 Kilometern. Die Fläche des afrikanischen Kontinents beträgt 30,2 Millionen Quadratkilometer, die Fläche Deutschlands nur 357.588 Quadratkilometer. Für eine vergleichbare Straßendichte – nur der Autobahnen, wohlgemerkt – müsste in Afrika grob eine Million Straßenkilometer gebaut werden.

Die Straßenprojekte, so der damalige Beitrag, "zerschneiden Naturschutzgebiete und setzen bisher nur wenig besiedelte Gebiete einem hohen Umweltdruck aus". Wie gesagt, wir reden von einem Kontinent, in den Deutschland fast hundertmal hineinpasst, und von ganzen 53.000 Kilometern Straße.

Es ist ein alter Topos des Kolonialismus, der schon unter "Serengeti darf nicht sterben" und unter der Ägide des WWF verkauft wurde. Die schönen exotischen Elefanten, Nashörner und Giraffen, deren Lebensräume bedroht sind. Wenn man mit dem gleichen Ansatz auf Europa blickte, müsste man einen breiten Korridor von Niedersachsen bis Weißrussland von menschlicher Besiedlung räumen, um den Lebensraum der Wisente wiederherzustellen. Niemand kommt auf diesen Gedanken, aber bezogen auf Afrika ist er völlig natürlich.

Die Karte, die mit der damaligen Sendung geliefert wird, zeigt auch, wie wenige Straßen vorhanden sind, die den Kontinent wirklich queren. Das ist das Erbe der offenen Kolonialherrschaft: Jede Kolonialmacht hatte nur an einem Infrastrukturprojekt wirkliches Interesse, an dem Hafen, der die aus dem Land gezogenen Güter ins "Mutterland" brachte und dazu diente, etwas der eigenen Waren dort abzuwerfen. Verkehrswege, die die afrikanischen Länder miteinander verbinden? Die wurden schon allein deshalb nicht gebaut, weil eine britische Kolonie neben einer französischen, deutschen oder portugiesischen lag. Und nach der formellen Unabhängigkeit gelang es sehr schnell, die Kontrolle so weit wieder zu übernehmen, dass Infrastrukturprojekte vor allem dazu dienten, die Schuldknechtschaft zu erhalten.

Blicken wir auf die Karte der Verkehrswege. Ja, es gibt Verbindungen ins Innere. Aber diese Straßen sind oft nur Lehmstraßen, also zu bestimmten Zeiten des Jahres nicht befahrbar, und im günstigsten Fall haben sie eine Spur pro Richtung. Sehr, sehr langsam werden innerhalb der Länder Straßen gebaut, die dem entsprechen, auf dem der europäische Güterverkehr läuft, soweit er per Lkw abgewickelt wird, mehrspurige, geteerte Autobahnen auf einem soliden Fundament. Bahnlinien, die eine größere Transportkapazität haben, gibt es wenige, und sie reichen nicht von einer Seite des Kontinents zur anderen. Es gibt Flughäfen, aber nur wenige sind für große Flugzeuge geeignet. Und bei jedem Blick auf eine dieser Karten darf man die Größenordnung nicht vergessen. In den klein wirkenden Flächen zwischen zwei Straßen könnte man die gesamte Bundesrepublik unterbringen.

Was gänzlich fehlt, sind Kanalverbindungen zwischen den Einzugsgebieten der großen Flüsse. Deren Bedeutung unterschätzt man gerne, auch, weil viele dieser Kanäle in Europa schon vor Jahrhunderten gebaut wurden. Entlang der Loire beispielsweise; und der erste Rhein-Main-Donau-Kanal geht schon auf Karl den Großen zurück (übrigens sollen die militärischen Lieferungen an die Ukraine überwiegend über Rhein und Donau laufen). Genauso wie das Straßennetz, das sich von der Jungsteinzeit über die Römer bis heute schrittweise entwickelte, ist die Anwesenheit wirtschaftlich wichtiger Kanälehäfen etwas, das meist gar nicht bewusst wahrgenommen wird. Sie sind eben einfach da.

Aber die Bevölkerungsdichte in Europa war schon lange weit höher als in Afrika, und es ist letztlich die Zunahme der Bevölkerung, die dazu führt, dass Wälder gerodet und Straßen gebaut werden. Man kann die Spuren noch finden, wenn man einmal abfragt, wie viele Städte mit dem Namen Neustadt es in Deutschland gibt. Es sind mehr als 40. Jede von ihnen begann als frisch gerodetes Siedlungsgebiet. Aber Afrikaner, die sind nun einmal dafür da, uns Weißen die unberührte, menschenlose Umwelt zu liefern, weshalb sie selbstverständlich das, was hier bereits vor Jahrhunderten geschah, nicht nachvollziehen dürfen.

Es gibt alte Handelswege durch Afrika, die Salzhandelsrouten durch die Sahara beispielsweise. Es gibt sogar Relikte antiker sudanesischer Königreiche im Osten, die darauf hinweisen, dass Handelsverbindungen bis in die Gegend der Stadt Benin in Westafrika bestanden. Aber diese Handelswege entwickelten sich ab einem bestimmten Punkt nicht weiter, und der Grund dafür kam aus Europa.

Westafrika etwa kennt urbane Kulturen länger als Mitteleuropa. Aber über einen Zeitraum von mehr als zweihundert Jahren waren viele der Bewohner Handelsware, die über den Atlantik hinweg verschifft wurde. Es ist bekannt, dass in der Regel die Hälfte der Gefangenen den Transport nicht überlebte. Welche Folgen hat es für die Gesellschaften, wenn über so eine lange Zeit kommerziell betriebene Sklavenjagd das bedeutendste Geschäft ist, und die europäischen Kunden ihren Anspruch auf die Ware mit militärischer Überlegenheit durchsetzen? Die Küstenbewohner hatten nur die Wahl, entweder Sklaven zu liefern oder selbst versklavt zu werden. Die Folge des Sklavenhandels waren von endlosen Kriegen geprägte Jahrhunderte.

Nordafrika? Die Franzosen machten sich Mitte des 19. Jahrhunderts, absolut unverhüllt, daran, die Bevölkerung Algeriens auszurotten, um Platz für französische Siedler zu schaffen. Marokko war spanische Kolonie; Putschgeneral Francisco Franco stammte aus den spanischen Kolonialtruppen, die mit Bombenfliegern und Giftgas gegen die Kolonialbevölkerung vorgingen. Und wer Wert darauf legt, dass es ihm wirklich übel wird, kann sich mit den Belgiern im Kongo beschäftigen.

Es gibt sehr große Ähnlichkeiten zwischen dem Vorgehen der Kolonialmächte und dem, was die Nazis in Europa taten, insbesondere dem Generalplan Ost. Aber Afrika hatte damit nicht nur zwölf Jahre lang zu tun, sondern mehr als zwei Jahrhunderte. Wenn man sich der Verwüstungen bewusst ist, die angerichtet wurden, erkennt man, dass es nicht um mangelnde Entwicklung oder gar nicht vorhandene Entwicklungsfähigkeit geht, sondern darum, dass jede Entwicklung verhindert wurde.

Es ist ziemlich genau bekannt, was man tun muss, damit sich ein Land entwickelt. Es braucht Straßen, Stromnetze, Eisenbahnen. Es braucht Produktion, und zwar industrielle – bis heute ist im Afrika unterhalb der Sahara abgesehen von Südafrika Burkina Faso das Land mit der höchsten Industrialisierung. Das genau war der Grund für den Mord an Thomas Sankara. Es braucht alle Voraussetzungen für Souveränität, und dazu gehört auch Ernährungssicherheit.

Abgesehen von den Regionen, die vor allem für den Export produzieren, wie westafrikanische Kakaoplantagen, sind nach wie vor große Gebiete in Afrika von Subsistenzlandwirtschaft geprägt. Die Exportpolitik etwa der EU trug immer wieder dazu bei, selbst diese Subsistenzwirtschaft noch zu gefährden, durch den Export von subventionierten Hühnerteilen beispielsweise. Die Freihandelsverträge, die aus Europa "angeboten" werden, führen meist dazu, dass nicht nur die Entwicklung der Landwirtschaft nicht gefördert wird, sondern die vorhandene sich noch zurückentwickelt. Warum? Das Ziel ist eben nicht die Souveränität dieser Länder, sondern ihre Abhängigkeit.

Der Gebrauch von Fremdwährungen im Handel und bei Krediten ist ein weiterer wichtiger Punkt, um die Abhängigkeit zu erhalten. Man sieht das an der augenblicklichen Inflation. Auf dem Weltmarkt stiegen die Getreidepreise, was Importe wesentlich verteuert, die in Dollar bezahlt werden müssen. Diese Inflation setzt sich im Landesinneren verstärkt fort (aus einer globalen Inflation von acht Prozent werden vierzig oder fünfzig), wodurch die heimische Währung an Wert verliert, was wiederum die Importe noch teurer macht. Kredite bei Institutionen wie dem IWF oder bei privaten Banken, die ebenfalls in Dollar nominiert sind, sind dementsprechend schwieriger abzulösen, was zum Auslöser einer Krise der Staatsfinanzen wird.

Wenn Handel und Kredite in Landeswährung stattfinden, sorgt das also für eine Stabilisierung. Die Wirkung ist ähnlich wie die eines Tauschhandels, den etwa die Sowjetunion über Jahrzehnte mit Indien vollzog, über Milliardenwerte übrigens, was einen gewaltigen Beitrag dazu leistete, dass Indien nach der Unabhängigkeit eine Industrie aufbauen konnte.

Übrigens hat Russland noch eine Fähigkeit zu bieten. Es gibt kein Land der Erde, in dem die Suche nach Rohstoffen so systematisch und wissenschaftlich betrieben wurde wie in der Sowjetunion. Die ungeheure Fläche der afrikanischen Länder ist fast schon in sich eine Garantie dafür, dass der Kontinent autark sein könnte, wenn seine Reichtümer angemessen erschlossen und genutzt würden. Nicht die Erkundung, wohl jedoch die Erschließung ist aber abhängig von der Infrastruktur der Verkehrswege, denn wenn es nötig ist, erst eine Straße zu bauen, um überhaupt abbauen zu können, rentiert es sich sehr schnell nicht mehr.

Aber zurück zu der entscheidenden Frage: ist das, was Russland anbietet, von Nutzen für die afrikanischen Länder? Die Antwort findet sich sehr schnell, wenn man die Frage anders formuliert. Warum haben bis heute die ehemaligen Kolonialmächte nie angeboten, Handel in der Landeswährung zu treiben oder nötigen sogar, wie Frankreich mit dem CFA-Franc, den Ländern eine Währung auf? Es wäre technisch betrachtet kein Problem, den Handel entsprechend umzustellen. Es geschieht nicht, weil damit ein ökonomischer Vorteil für die westlichen Länder verloren ginge. Im Grunde muss man nur sehen, was die Kolonialmächte nicht tun, um zu wissen, was den afrikanischen Ländern helfen würde, ihr volles Potenzial zu entfalten. Die russischen Angebote sind auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Kein Wunder, dass den Kolonialmächten der Schaum vor dem Mund steht.

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