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Wünscht sich Russland, dass Donald Trump das Rennen um das Weiße Haus gewinnt?

Eine zweite Amtszeit Trumps könnte den Beginn einer echten Veränderung in der internationalen Positionierung der USA einläuten – hin zu einer stringenteren Agenda und einer pragmatischeren Wahl der Prioritäten, was dem Rest der Welt neue Möglichkeiten eröffnen könnte.
Wünscht sich Russland, dass Donald Trump das Rennen um das Weiße Haus gewinnt?Quelle: Gettyimages.ru © Foto von Win McNamee / Getty Images

Von Fjodor Lukjanow 

Beide mutmaßlichen Kandidaten für die diesjährige US-Präsidentschaftswahl weisen offensichtliche Schwächen auf und verbuchen für sich ungünstige Bewertungen. Im Fall von Joe Biden ist der Grund für die ungünstige Bewertung offensichtlich: Seine zunehmend augenscheinliche Senilität und kognitive Schwäche. Dem gegenüber wird Donald Trump konzeptionell angegriffen – als Bedrohung für die Demokratie und die nationalen Interessen der USA.

Wie schon vor acht Jahren lauten die Argumente, dass Trump sich gut mit Diktatoren verstehe, von einer absoluten Herrschaft außerhalb der parlamentarischen Kontrolle träume und für die US-amerikanischen Verbündete nicht viel übrig habe, weshalb er die gesamte außenpolitische Strategie Washingtons überarbeiten werde. Der traditionelle Vorwurf einer russischen Einmischung zugunsten von Trump ist noch nicht vorgebracht worden, wird sich aber wahrscheinlich in der einen oder anderen Form noch einstellen. Auf jeden Fall ist die Ansicht, dass seine Rückkehr ins Weiße Haus ein Erfolg für den Kreml wäre, ziemlich weit verbreitet. In Russland teilt man diese Ansicht nicht unbedingt, aber es besteht die Erwartung, dass eine mögliche zweite Präsidentschaft von Donald Trump die Position Russlands gegenüber den USA verbessern wird.

Eine ähnliche Annahme wurde im Kreml von 2016 bis 2017 getroffen, am Vorabend und unmittelbar nach Trumps Einzug ins Weiße Haus. Rückblickend kann man aber sagen, dass sich die Beziehungen in Wahrheit stark verschlechterten, während Trump selbst nicht müde wurde zu betonen, dass niemand gegenüber Moskau härter auftrete als er. Was die Zahl der Sanktionen und Maßnahmen angeht, wurde in diesem Zeitraum sogar ein Rekord aufgestellt – obwohl, verglichen mit heute und mit Biden im Weißen Haus, dies eine Trockenübung für die echte Orgie gewesen zu sein scheint.

Was können wir also von Trump erwarten, sollte er im November erfolgreich sein? Berücksichtigt man seine praktischen Ansätze und sein Lebenswerk, so ist Trump im Grunde ein Geschäftsmann und Unternehmer. Tatsächlich ein Einzelunternehmer. Er hat sein ganzes Leben lang ein Familienunternehmen geführt, in dem er alle Entscheidungen selber trifft und von seinen Mitarbeitern bedingungslosen Gehorsam erwartet. Im Zentrum seines Universums steht nur er selbst. Aber jetzt hat er eben auch Zeit und Raum für die Nation gefunden, die er groß machen muss, um als der größte aller US-Präsidenten in die Geschichte einzugehen. Andere Staaten, darunter Russland, interessieren Trump kaum. Für ihn sind sie nur dienliche Steigbügelhalter, die ihm dabei helfen, sein Hauptziel zu erreichen.

Die sachliche Mentalität des ehemaligen Präsidenten ist indes eine wertvolle Eigenschaft. So hart ein professioneller Geschäftsmann auch sein mag, seine Aufgabe ist es nicht, zu zerstören, sondern zu vermehren, sonst verliert das Geschäft seinen Sinn. Trump war der erste US-Präsident seit langer Zeit – wahrscheinlich seit Jimmy Carter –, der keine einzige neue militärische Kampagne im Ausland lancierte. Seine düstere außenpolitische Rhetorik, mit ihren scharfen Angriffen auf seine Gegner, geht stets mit einem vorsichtigen Relativieren einher. Er bleibt vorsichtig und zögert, in Situationen einzugreifen, die mit für ihn unverständlichen Komplikationen behaftet sind.

Die Wirksamkeit einer solchen Taktik auf internationaler Ebene ist fraglich. Aber wo Trump ein primäres Interesse erkennen kann, funktioniert sie, wie die Beziehungen zu China und den europäischen NATO-Mitgliedern zeigen. In beiden Fällen ging es um Geld. Im Fall von China um die Bedingungen für den Zugang zum US-Markt und im zweiten Fall um die Beteiligung an den Kosten für die Verteidigung Europas durch die USA. Trump hat es geschafft, an beiden Fronten voranzukommen.

Zwar lassen sich komplexe Probleme mit strategischen Komponenten und geopolitischem Kalkül nicht allein auf finanzieller Ebene lösen, wie Trump mit seinem Vorgehen gegenüber Nordkorea und teilweise auch gegenüber Russland deutlich gemacht hat. Aber entgegen seinem Image ist er in beiden Fällen vorsichtig geblieben, geleitet von dem Prinzip "keinen Schaden anrichten".

Der Isolationismus, der Trump vorgeworfen wird, drückt sich in seiner Gleichgültigkeit gegenüber dem aus, was in anderen Ländern passiert, wie auch immer diese politisch organisiert sind. Dadurch wird das gesamte politisch-ideologische Konstrukt der modernen USA infrage gestellt, das auf der Verbreitung von Werten basiert, um andere Staaten mit der von den USA geführten internationalen Ordnung in Einklang zu bringen. Dieser Ansatz hat seine Wurzeln weit zurück in der Geschichte der Bergpredigt. Aber noch nie wurde er zu einem unbestrittenen Imperativ, hinter dem die gesamte Macht der Vereinigten Staaten steht, wie im globalen Zeitalter. Trumps Versuche, diese Maxime infrage zu stellen, sind der Hauptgrund für die heftigen Angriffe auf seine außenpolitischen Instinkte.

Diejenigen, die glauben, dass Moskau einen Präsidenten Trump favorisiert, liegen nicht ganz falsch. Aber der Grund liegt nicht darin, dass Trump eine prorussische Einstellung hat, denn die hat er nicht.

Sollte der wahrscheinliche republikanische Kandidat am Ende siegreich sein, gibt es zwei mögliche Szenarien. Das erste Szenario ist ein verzweifeltes Ringen in Washington, bei dem viel Energie für Grabenkämpfe zwischen und innerhalb der Parteien aufgewendet wird. Dies ist zum Vorteil Russlands, weil dadurch die Aufmerksamkeit des Gegners abgelenkt ist.

In einem zweiten Szenario könnte Trumps erneutes Betreten der geopolitischen Bühne, trotz aller äußerst ungünstigen Umstände, den Beginn einer echten Veränderung in der internationalen Positionierung der USA einläuten. Hin zu einer stringenteren Agenda und einer pragmatischeren Wahl der Prioritäten, was dem Rest der Welt neue Möglichkeiten eröffnen könnte.

Aus dem Englischen.

Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur der Zeitschrift "Russia in Global Affairs", Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor beim Internationalen Diskussionsklub Waldai.

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