Paris will Korsisch als Amtssprache verbieten – Droht eine neue Unruhewelle?
Von Daniele Pozzati
"Wie kann jemand eine Nation regieren", beklagte sich bekanntlich Charles de Gaulle über sein Heimatland, "die 246 verschiedene Käsesorten hat?"
Was ist denn mit einer Insel, die sogar ihre eigene Sprache hat und diese als Amtssprache neben Französisch nutzen will? Und mit einem Inselvolk, das, obwohl es politisch zu La Grande Nation gehört, sich als Volk sieht und so gesehen werden möchte?
"Eins und vielfältig" (Une et diverse). So haben viele französischen Gelehrten und Staatsmänner ihre Nation beschrieben. "Gegen die Vielfalt, die es überfällt", schrieb Paul Vidal de la Blache (1845–1918), der Begründer der Humangeographie, "setzt Frankreich seine force d'assimilation, seine Kraft der Assimilation ein. Sie verwandelt alles, was sie empfängt".
Das mag stimmen, aber mit Korsika scheint es anders gelaufen zu sein. Denn die Korsen pflegen ihre Andersartigkeit – sei es geografisch, historisch, kulturell – mit einer Ausdauer und in eine politische Richtung, die Paris seit Langem besorgt. Und darum geht es in dem Urteil des französischen Verwaltungsgerichtes von Bastia.
"Administrative Trojanische Pferde"
Was Frankreichs führende Tageszeitung Le Monde mit feiner Ironie als "ein neuer Stein im Garten der turbulenten Beziehungen zwischen der Regierung und Korsika" beschreibt, fing am 16. Dezember 2021 mit dieser Verordnung an:
"Das korsische Regionalparlament und sein Exekutivrat sind die Garanten der materiellen und moralischen Interessen des korsischen Volkes, (…) die Sprache und die Debatten des Parlaments von Korsika sind Korsisch und Französisch."
Es gebe gleich zwei Streitobjekte: 1.) die Beschreibung der Korsen als "Volk"; 2.) die Einführung des Korsischen neben dem Französischen als Amtssprache. Beide Punkte hatten den alten Präfekt der Insel, Pascal Lelarge, sofort irritiert.
"Laut dem Vertreter des Staates", berichtete am 9. März Le Monde, "waren diese Akte das administrative Trojanische Pferd, das den Begriff des korsischen Volkes weihte". Nach einem "Armdrücken" mit dem korsischen Parlament und seinem Exekutivrat legte Lelarge zwei Berufungen vor dem Verwaltungsgericht ein, das zu seinen Gunsten entschied.
Der Begriff "Volk" sei, so Le Monde, "vor dreißig Jahren vom Verfassungsrat während des zweiten sogenannten 'Joxe'-Prozesses zur Dezentralisierung zensiert worden". Anders formuliert: Paris betrachtet die Dezentralisierung als Wunschwert, bis auf die Einführung von Begriffen wie "Volk".
Das korsische Regionalparlament verteidigte seine Wortwahl mit dem Argument, dass "der Verweis auf das korsische Volk bereits 1988 im Plan für die Entwicklung und nachhaltige Entwicklung Korsikas verwendet wurde, ohne Gegenstand der Zensur zu sein".
"Undenkbar, solch ein Urteil zu akzeptieren"
Schließlich entschied das französische Verwaltungsgericht gegen die korsische Verordnung in beiden Punkten. Die Formulierung "Korsisches Volk" verstoße gegen Artikel 1 der französischen Verfassung, weil, so heißt es in dem Urteil, sie "im Gegensatz zur Vorstellung einer einzigen und unteilbaren Republik steht". Und Korsisch als Amtssprache verstoße gegen Artikel 2, wonach "die Sprache der Republik Französisch ist".
Alles klar? D'accord? Nicht im Geringsten. Ein kurzer Überblick über die lokalen Medien zeigt, dass die Stimmung auf der Insel eher kämpferisch ist.
"Diese Entscheidung läuft darauf hinaus, den gewählten Vertretern Korsikas das Recht zu nehmen, ihre Sprache bei Debatten in dem korsischen Parlament und im Exekutivrat zu sprechen", heißt es in einer Pressemitteilung der korsischen Parlamentsmitglieder Gilles Simeone und Marie-Antoinette Maupertuis, "Diese Situation zu akzeptieren, ist für uns undenkbar."
"Diese Gerichtsentscheidung und ihre Begründung bestätigen nur die absolute Notwendigkeit einer Verfassungsrevision", sagen die nationalistischen Volksvertreter, "insbesondere um der korsischen Sprache den Status einer Ko-Amtssprache zu garantieren, eine wesentliche Bedingung für ihr Überleben und ihre Entwicklung".
Und es sind nicht nur Worte, wie die korsische Tageszeitung Corsematin erfahren durfte:
"Die korsischen Abgeordneten, die sich erstmals 'einvernehmlich' geweigert hatten, die Verordnung von 2021 aus 'rechtlichen, politischen und weltanschaulichen' Gründen zurückzuziehen, geben heute bekannt, dass sie ab der nächsten Sitzung allen Fraktionen vorschlagen werden, einen gemeinsamen Standpunkt angesichts der rechtlichen und politischen Situation zu adoptieren, die durch das Urteil des Verwaltungsgericht von Bastia geschaffen wurde."
Dabei geplant ist eine Berufung an den Staatsrat, der als Verwaltungsgericht zweiter Instanz dieses Urteil aufheben kann.
Eine unbeliebte Figur: Der Präfekt
Es ist kein Zufall, dass es der Präfekt war, der sich der korsischen Verordnung 2010 widersetzt hatte. Solch ein oberster Verwaltungsbeamter, der den Zentralstaat in einer Provinz verkörpert, wäre in einem föderalen Staat wie Deutschland undenkbar.
Und was die korsische parlamentarische Gruppe "Core in Fronte" über diese Institution zu sagen hat, deutet darauf hin, dass man auf der Insel irgendeine Art von Föderalisierung anstrebt – die Pressemitteilung erwähnt auch den Protest 2022 gegen die Tötung eines korsischen politischen Aktivisten, Yvan Colonna, im Gefängnis, der wiederum seit 2003 einsaß, weil er 1998 am Mord eines anderen Präfekten teilgenommen habe. Sein Tod löste 2022 wochenlange Unruhen in Korsika aus.
"Korsika hat nur zu sehr unter Präfekturzwang gelitten. Die jüngsten Gespräche von Präfekten, auf die Jean-Félix Acquaviva hinweist und die mit obszöner Freude die Ermordung von Yvan Colonna kommentieren, heben den Hass hervor, der von dieser französischen elitären Körperschaft aufrechterhalten wird."
Wäre die Abschaffung der Präfektur eine praktikable, langfristige Lösung für Korsika und Frankreich? Der Weg für diese und ähnliche Lösungen geht sicherlich bergauf. Aber der alljährliche Protest und Unruhen sind auf Dauer nicht tragbar.
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